
Foto: Herbert Zimmermann
NACHHALTIGE FIRMEN
Sie warten unruhig, bis sich die Türe öffnet. Dann
gibt es kein Halten mehr, die Schweine rennen
los. Was wir sonst nur von den Säulirennen an der
OLMA kennen, ist auf dem Hof von Franz Studer im
luzernischen Schüpfheim Alltag. Hier sieht man im
Stundentakt Schweine, die sich auf der Wiese austoben,
nach Futter graben und sich im Schlamm wälzen.
Studer ist einer der ersten Schweinemäster, die
ihren Betrieb nach dem revolutionären System der
Wiesenschwein AG umgebaut haben. Die Idee dazu
hatte Oliver Hess, einst selbst Schweinebauer.
Vollautomatisierter Freilauf
«Meine damalige Partnerin und ich haben einen
Betrieb übernommen, um ihn zu verändern», erklärt
der heutige CEO der Wiesenschwein AG. Das
Tierwohl hat Hess angetrieben, eine lebensfreundlichere
Umgebung für die Tiere zu schaffen. Schweine
seien intelligent, lernfähig und sozial, hätten einen
ausgesprochenen Spieltrieb und Bewegungsdrang.
So hat Oliver Hess Stück für Stück sein System am
Leben der Schweine orientiert. «Schweine schlafen
und liegen gerne, rund 16 bis 18 Stunden am Tag»,
so Hess. «Doch die andere Zeit möchten sie sich bewegen,
suhlen, im Boden nach Fressbarem suchen.
Dies setzen wir mit unserem System um.» So leben
die Schweine nicht nur im Stall, sondern haben einen
terminierten Auslauf. Der Stall ist in Einheiten
unterteilt, die je eine Gruppe beherbergen. Jeweils
eine Gruppe kann den Stall verlassen und darf zuerst
auf einen gedeckten Vorplatz. Dort können sich
die Schweine im Sägemehlkompost und in einem
Wasserbecken austoben, buddeln und suhlen. Nach
einigen Minuten öffnet sich auch eine Türe auf die
«Wir müssen uns bewusst
sein, dass jeder Fleischkonsum immer
Ressourcen braucht.»
Oliver Hess, CEO Wiesenschwein AG
Wiese. Hier rennen die Schweine herum, stöbern
nach Fressbarem oder legen sich in den Schatten.
Nach rund 45 Minuten ist dieser Freilauf zu Ende,
und ein Ton, der sich bei jeder Rotte unterscheidet,
erklingt. Nun wissen die Schweine, dass sie zurück
in den Stall müssen, wo Futter auf sie wartet. Diverse
Sensoren und Bildalgorithmen zählen die Schweine
bei der Rückkehr. Erst wenn die Rotte vollzählig
im Stall ist, öffnet sich für die nächste das Tor. Die
Schweine hätten das System nach wenigen Tagen begriffen,
was selbst Hess überraschte.
Nachhaltigkeit hat drei Dimensionen
Auf das Thema Nachhaltigkeit angesprochen, muss
Hess überlegen. «Heute ist ja alles nachhaltig», gibt
er zu bedenken. «Wir müssen uns bewusst sein, dass
jeder Fleischkonsum immer Ressourcen braucht.
Man könnte uns sogar vorwerfen, dass wir mehr
Land verbrauchen.» Doch der Trend gehe klar in die
Richtung, dass der Konsument wissen will, woher
das Fleisch stammt, wie die Tiere gehalten werden
und was sie zu fressen bekommen. Zudem werde
weniger Fleisch gegessen, dafür mehr aus artgerechter
Tierhaltung. «Unser System ist in diesem Sinne
nachhaltig, dass wir an einer sinnvollen, artgerechten
Haltung arbeiten, die hoffentlich in zwei oder
drei Generationen Standard ist.» Prof. Markus Zemp
von der Hochschule Luzern kann die Einschätzung
von Oliver Hess bestätigen. «Nachhaltigkeit heisst
nicht nur Ökologie, sondern hat immer drei Dimensionen:
eine ökonomische, eine ökologische und
eine gesellschaftliche», erklärt Zemp, der im Bereich
der nachhaltigen Unternehmensführung lehrt und
forscht. «Im Falle der Wiesenschweine steht die Tierhaltung
nahme und Vermarktung
des Fleisches. Aktuell ist das
System auf drei Betrieben
im Einsatz, bis Ende 2020 sollen
es zehn Betriebe sein.
Interesse zeigen rund vierzig
Betriebe, auch aus dem
Ausland.
→ www.wiesenschwein.ch →
und damit die gesellschaftliche Dimension
der Nachhaltigkeit im Vordergrund.» Immer mehr
Konsumenten würden Wert auf artgerechte Haltung
legen. Und wenn dadurch bewusster und dafür weniger
Fleisch gegessen werde, habe das System durchaus
auch eine ökologische Dimension.
Meine Firma
Die Wiesenschwein AG wurde
2017 vom Luzerner Oliver Hess
gegründet. Ihr Ziel ist es, die
Schweinehaltung mit dem
Einsatz von technischen Hilfs-
mitteln nachhaltig zu verändern.
Dafür wurde ein System
entwickelt, welches auf
Mastbetrieben umgesetzt
werden kann. Die Wiesenschwein
AG organisiert die Ab-
02/2020 9 Meine FIRMA